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Mittwoch, 05.09.2018

Pensionskassenrentner dürfen hoffen: Leistungen sind beitragsfrei in besonderen Fällen

Der Streit wurde in mehreren Fällen bis vor das Bundesverfassungsgericht getrieben. Die erste Verfassungsbeschwerde wurde mangels Substanz abgelehnt (BVerfG, Beschluss vom 09.07.2018 - 1 BvL 2/18). Nun wurden zwei weitere Verfahren vom BVerfG entschieden (BVerfG, Beschluss vom 27.06.2018 - 1 BvR 100/15; 1 BvR 249/15): Weitestgehend positiv für die Pensionskassenrentner. Ihren Verfassungsbeschwerden wurde stattgegeben.

Der Fall

Die Beschwerdeführer waren vorübergehend beschäftigt und über ihren Arbeitgeber bei der als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ausgestalteten Pensionskasse versichert. Nach deren Satzung wurden sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber Versicherungsnehmer und Mitglied im Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Die Satzung sah jedoch vor, dass die Versicherung bei einem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis freiwillig fortgesetzt werden konnte und in diesem Fall der ehemalige Arbeitnehmer Einzelmitglied in der Pensionskasse und alleiniger Versicherungsnehmer wurde.

Die Beschwerdeführer zahlten nach ihrem Ausscheiden aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis fast 18 beziehungsweise 22 Jahre allein die Beiträge an die Pensionskasse. Die von ihr geleisteten Renten beruhen weit überwiegend auf ihren Einzahlungen.

Die Beschwerdeführer sind als Rentner pflichtversicherte Mitglieder in einer gesetzlichen Krankenkasse und sozialen Pflegeversicherung, wofür die Pensionskasse monatliche Beiträge abführt. Für die Berechnung dieser Beiträge legt die Pensionskasse die gesamte Rentenzahlung zugrunde und damit auch die Leistungen, die auf den Einzahlungen der Beschwerdeführer nach der Beendigung des jeweiligen Arbeitsverhältnisses beruhen. Die von den Beschwerdeführern beantragte Beitragsfreiheit für diese Leistungen lehnte die jeweilige Krankenkasse mit der Begründung ab, dass es sich ebenfalls um Versorgungsbezüge in Form von Renten der bAV handele und diese insgesamt beitragspflichtig seien. Eine Unterscheidung zwischen Einzahlungen vor und nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses müsse nicht getroffen werden.

Die dagegen gerichteten Klageverfahren blieben letztlich erfolglos. Das BSG begründet dies damit, dass Leistungen einer Einrichtung der bAV, wie einer Pensionskasse, unabhängig davon, auf wessen Beiträgen die Zahlungen beruhen, stets der bAV zuzurechnen und daher beitragspflichtig seien.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG. Leistungen der Pensionskassen, die auf dem Anteil beruhen, die nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses von ihnen selbst eingezahlt worden seien, müssten ebenso wie Leistungen aus privaten Lebensversicherungen beitragsfrei sein. Für eine Ungleichbehandlung gebe es keinen hinreichenden Grund.

Das BVerfG gab den Pensionskassenrentnern im Grundsatz Recht:

1.

Es verstößt gegen das Gleichheitsgebot, wenn für die Berechnung der Beiträge von Rentnern zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung solche Zahlungen berücksichtigt werden, die auf einem nach Ende des Arbeitsverhältnisses geänderten oder ab diesem Zeitpunkt neu abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag zwischen einer Pensionskasse in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit und dem früheren Arbeitnehmer beruhen, während Erträge aus privaten Lebensversicherungen von pflichtversicherten Rentnern nicht zur Berechnung herangezogen werden.

2.

Voraussetzung ist aber, dass der frühere Arbeitgeber an dem Versicherungsvertrag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr beteiligt ist und nur der versicherte Arbeitnehmer die Beiträge eingezahlt hat.

3.

Die Differenzierung zwischen betrieblicher und privater Altersversorgung und einer daraus resultierenden Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist nicht allein nach der auszahlenden Institution vorzunehmen. Es ist vielmehr nach der Vertragsgestaltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu differenzieren.

Im Einzelnen sind dies die wesentlichen Erwägungen des BVerfG:

1.

Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Der Gleichheitssatz ist verletzt.

2.

Art. 3 Abs. 1 GG verbietet nicht nur die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, sondern auch die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Typisierungen und Pauschalierungen sind dabei insoweit zulässig, als dadurch auftretende Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, sie nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist.

3.

Gemessen an diesem Maßstab liegt eine Ungleichbehandlung zwischen der Beitragspflicht bei Leistungen einer Pensionskasse in der Rechtsform des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, die auf den alleinigen Zahlungen des Versicherten in einen Versicherungsvertrag ohne Beteiligung des früheren Arbeitgebers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhen, und einer beitragsfreien Leistung aus einer bereits anfänglich privaten Lebensversicherung vor.

Die bislang vorgenommene Unterscheidung zwischen privater und betrieblicher Altersvorsorge allein nach der auszahlenden Institution überschreitet im vorliegenden Fall die Grenze einer zulässigen Typisierung. Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob der Versicherte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses den institutionellen Rahmen des Betriebsrentenrechts weiterhin unverändert nutzt oder den Vertrag aus dem betrieblichen Bezug löst. Der Zweck einer Einrichtung der bAV schließt das Betreiben privater Altersvorsorge nicht aus. Indem der Versicherte nach Ende des Arbeitsverhältnisses mit der Pensionskasse in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit einen Lebensversicherungsvertrag ohne Beteiligung des Arbeitgebers abschließt oder einen bestehenden Vertrag in dieser Weise ändert und die Versicherungsleistungen selbst finanziert, wird der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts verlassen. Einzahlungen des Versicherten auf diesen Vertragsteil unterscheiden sich nur unwesentlich von Einzahlungen auf privat abgeschlossene Lebensversicherungsverträge. Eine unterschiedliche Behandlung bei der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung rechtfertigt dies nicht. Der Einbezug kann vielmehr dazu führen, dass Verträge nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht weiter für die private Altersvorsorge genutzt werden und die vom Gesetzgeber gewollte Eigenvorsorge nicht eintritt.

Fazit

  • Das Bundesverfassungsgericht korrigiert damit die bisherige Rechtsprechung des BSG. Neben der Typisierung (also: alle Pensionskassenverträge sind immer Betriebsrenten, weil bei einer Institution der bAV eingerichtet) muss auch die individuelle Vertragssituation betrachtet werden. Hier zieht das BVerfG die "Scheidelinie" nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis: Wenn ab diesem Zeitpunkt der Pensionskassenvertrag geändert oder neu abgeschlossen wird und der frühere Arbeitgeber an dem Versicherungsvertrag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr beteiligt ist und nur der versicherte Arbeitnehmer die Beiträge eingezahlt hat, dann liegt insoweit für diesen Vertragsteil kein Versorgungsbezug vor.

  • Pensionskassen müssen zukünftig also differenzieren zwischen Versorgungsbezug, der dann meldepflichtig ist, und dem Teil der Leistungen, der nach den Kriterien des BVerfGs kein Versorgungsbezug mehr ist.

  • Pflichtversicherte Rentner müssen diesen Vertragsteil nicht mehr verbeitragen, für freiwillig krankenversicherte Rentner gilt weiterhin die Beitragspflicht nach den Verfahrensgrundsätzen Selbstzahler.

  • Bisher schon beitragspflichtige Pensionskassenrentner, die von dieser Fallkonstellation betroffen sind und die keinen Einspruch gegen ihren Bescheid eingelegt haben, sollten dies umgehend tun. Im Sozialversicherungsrecht gilt eine vierjährige Verjährungsfrist.

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