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Staatshaftung? Europa beschließt mehr Sicherung für Betriebsrenten
Dagegen klagte ein betroffener Betriebsrentner und wollte die Differenz vom PSV ausgeglichen bekommen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG, EuGH-Vorlage vom 20.2.2018 - 3 AZR 142/16 (A)) urteilte zwar - wie immer -, dass nach deutschem Recht der PSV nicht zahlen müssen, doch legte der dritte Senat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob nicht nach europäischem Recht eine gekürzte Betriebsrente unter besonderem Schutz steht und ausgeglichen werden muss. Denn die sogenannte Zahlungsunfähigkeits-Richtlinie (Richtlinie 2008/94/EG über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers) schützt auch Betriebsrenten (Art. 8).
Das hatte natürlich für große Aufmerksamkeit gesorgt, da es im Kern darum geht, ob der gesetzliche Insolvenzschutz, der über den PSV durchgeführt wird, ausreichend ist oder reformiert werden muss. Und wenn der Schutz nicht ausreichend ist, ob dann die Bundesrepublik Deutschland oder der PSV die Differenz zahlen muss.
Am 19.12.2019 veröffentlichte nun der europäische Gerichtshof sein lang erwartetes Urteil (EuGH, 19.12.2019 - C-168/18 Bauer).
Die Kernpunkte sind:
1.Der EuGH bleibt bei seiner Rechtsprechung zur Zahlungsunfähigkeits-Richtlinie, dass mindestens 50 % der zugesagten Betriebsrente geschützt sein müssen ("Opfergrenze").
2.Neu hinzu kommt, dass in jedem Einzelfall jährlich geprüft werden muss, ob die Kürzung nicht offensichtlich unverhältnismäßig ist, auch wenn sie weniger als 50 % beträgt. Das ist dann der Fall, wenn der Betroffene durch die Kürzung unter die nach Eurostat für den entsprechenden Mitgliedsstaat der EU ermittelte Armutsgefährdungsschwelle (Deutschland 2018: 13.628 Alleinstehende; Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Lebensbedingungen-Armutsgefaehrdung/Tabellen/armutsschwelle-gefaehrdung-silc.html) leben müsste oder künftig leben müsste.
3.Der Mindestschutz nach der Zahlungsunfähigkeits-Richtlinie entfaltet unmittelbare Wirkung und kann grundsätzlich auch gegenüber einer privatrechtlichen Einrichtung geltend gemacht werden, die vom Staat mit der Insolvenzsicherung von Betriebsrenten betraut ist, also in Deutschland: der PSV. Allerdings muss in Deutschland nun das Bundesarbeitsgericht prüfen, ob das der Fall ist. Denn der PSV schützt ja gesetzlich gerade nicht die Pensionskassen und ist damit nicht vom Staat mit dieser Aufgabe betraut. Sollte der PSV nicht "zuständig" sein, müsste der Staat einspringen.
Hier die Leitsätze des Urteils:
1.Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ist dahin auszulegen, dass er auf eine Situation anwendbar ist, in der ein Arbeitgeber, der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine überbetriebliche Einrichtung gewährt, wegen seiner Zahlungsunfähigkeit nicht für den Ausgleich der Verluste einstehen kann, die sich aus der Kürzung der von dieser überbetrieblichen Einrichtung erbrachten Leistungen ergeben, wobei diese Kürzung von der diese Einrichtung überwachenden staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht genehmigt wurde.
2.Art. 8 der Richtlinie 2008/94 ist dahin auszulegen, dass eine wegen der Zahlungsunfähigkeit seiner ehemaligen Arbeitgeberin erfolgte Kürzung der einem ehemaligen Arbeitnehmer gezahlten Leistungen der betrieblichen Altersversorgung als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen wird, obwohl der Betroffene mindestens die Hälfte der sich aus seinen erworbenen Rechten ergebenden Leistungen erhält, wenn dieser ehemalige Arbeitnehmer wegen dieser Kürzung bereits unterhalb der von Eurostat für betreffenden Mitgliedstaat ermittelten Armutsgefährdungsschwelle lebt oder künftig leben müsste.
3.Der eine Mindestschutzpflicht vorsehende Art. 8 der Richtlinie 2008/94 kann unmittelbare Wirkung entfalten, so dass er gegenüber einer privatrechtlichen Einrichtung geltend gemacht werden kann, die vom Staat als Träger der Arbeitgeberinsolvenzsicherung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung bestimmt worden ist, wenn diese Einrichtung in Anbetracht der Aufgabe, mit der sie betraut ist, und der Bedingungen, unter denen sie sie erfüllt, dem Staat gleichgestellt werden kann, sofern sich die Aufgabe der Sicherung, mit der sie betraut ist, tatsächlich auf die Arten von Leistungen bei Alter erstreckt, für die der in Art. 8 dieser Richtlinie vorgesehene Mindestschutz verlangt wird.
Hinweise:
1.Das BMAS hat dazu schon einen Gesetzesentwurf vor wenigen Wochen in die Diskussion gegeben. Danach sollen künftig regulierte Pensionskassen mit Sanierungsklausel unter den Schutz des PSV fallen. Da dann der PSV auch mit dem Schutz von Pensionskassen-Versorgungen gesetzlich betraut wäre, entfiele auch die Staatshaftung. Für den PSV-Schutz fielen dann künftig auch PSV-Beiträge an.
2.Schaut man sich die Armutsgefährdungsschwelle an, kommt man schnell zum Schluss, dass das eine Vielzahl von Fälle treffen könnte. Denn der Wert 2018 liegt zumeist über den Durchschnittsrenten insbes. für Frauen. Trifft also eine geringe gesetzliche Rente mit einer kleinen Betriebsrente zusammen, greift die Unverhältnismüßigkeits-Regelung des EuGH und ein Ausgleich ist wahrscheinlich erforderlich.
3.Eine Einzelfallprüfung ist aufwändig und beschränkt sich natürlich nicht nur auf das Erstjahr, sondern muss auch in den Folgejahren erfolgen. D.h., es wird eine Regelung erforderlich sein, die ohne eine jährliche Einzelprüfung auskommt. Damit wird eine Neuregelung vermutlich ein "Mehr" an Schutz bedeuten.
In 2020 wird dieses Thema sicherlich noch weiter die Betriebsrentner, Versorgungsträger und die Politik beschäftigen. Eine Neuregelung scheint fast unausweichlich, wenn nicht das Bundesarbeitsministerium künftig eine Nebenstelle für staatliche Ausgleichsrenten für geschädigte Betriebsrentner betreiben will.